Patientengespräch

«Eine E-Mail zu schreiben erfordert Zeit, Konzentration und Sorgfalt»

Alessandro Vitale
Alessandro Vitale

E-Mail-Kommunikation in der Nachsorge zwischen Patienten und Pflegenden – darüber hat Nathalie Daina-Laville eine Seminararbeit im Rahmen ihres «MAS en Sciences et organisation de la santé» geschrieben. Im Interview erzählt sie, wieso sie sich für dieses Thema entschieden hat, was sie selber an der E-Mail schätzt und wieso es wichtig ist, Gesundheitsfachpersonen in der Mailnutzung zu schulen.

Eine Zusammenfassung wichtiger Erkenntnisse aus der Arbeit von Nathalie Daina-Laville finden Sie im HIN Blog.

Frau Daina-Laville, es war eine Erfahrung in Ihrem beruflichen Alltag, die Sie dazu bewogen hat, Ihre Seminararbeit über die E-Mail-Kommunikation zwischen Pflegenden und Patienten zu schreiben. Können Sie mir davon erzählen?

In meiner Tätigkeit als selbständige Pflegefachfrau mit Spezialisierung Diabetologie kam es bei der Betreuung einer Patientin zu einem unerwarteten Ereignis. Wir hatten vorgängig vereinbart, dass wir während ihrer Ferien per E-Mail kommunizieren würden. Sie sollte mir regelmässig ihre Blutzuckerwerte schicken, damit wir die richtige Dosierung ihrer Therapie besprechen konnten. Eines Morgens waren die Werte, die sie mir schickte, jedoch alarmierend. Ich schrieb ihr, sie solle ihre Insulindosis anpassen, um keine gesundheitlichen Probleme zu riskieren – bekam aber keine Antwort. Die Kommunikation war schlicht unterbrochen, ich erreichte die Patientin nicht mehr. Ich machte mir wirklich Sorgen um sie… Diese Erfahrung hat mich zum Nachdenken gebracht.

Nathalie Daina-Laville

Nathalie Daina-Laville

Nathalie Daina-Laville ist Freiberufliche Pflegefachfrau mit Spezialisierung Diabetologie und Lehrbeauftragte FH am Institut et Haute Ecole de la Santé La Source.

In Ihrer Arbeit nennen Sie viele Vorteile der E-Mail-Kommunikation zwischen Patienten und Gesundheitsfachpersonen. Welche halten Sie für besonders wichtig?

Die E-Mail-Kommunikation kann das Selbstmanagement der Patienten in Bezug auf Ihre Krankheiten erhöhen – ein grosser Vorteil, der auch in der Literatur betont wird. Die Patienten bekommen mehr «Empowerment». Denn indem sie ihren Ärzten oder Pflegenden per Mail aktiv Fragen stellen und diese antworten, werden sie zu Akteuren in Bezug auf ihre eigene Gesundheit. Sie können mehr selber tun, etwas bewirken. Dies hilft den Patienten, gute Entscheidungen zu treffen – nicht zuletzt, weil sie sich unterstützt fühlen von der Gesundheitsfachperson.

In der heutigen Zeit findet man im Internet unbegrenzt Informationen. Könnten die Patienten sich einfach dort informieren?

Im Internet muss man die richtigen Seiten finden und erkennen. Es gibt online ebenso viele hilfreichen Informationen wie Möglichkeiten, in die Irre geleitet zu werden … Gesundheitsfachpersonen müssen ihre Patienten da unterstützen, indem sie ihnen erklären, ob eine Webseite vertrauenswürdig ist.

Welche weiteren wichtigen Vorteile der E-Mail-Kommunikation gibt es?

Die Patient-Pflegenden-Beziehung ist heute eine Partnerschaft auf Augenhöhe: Die Erfahrungen des Patienten auf seinem Genesungsweg sind ebenso wichtig wie das Fachwissen der Gesundheitsfachperson. Die E-Mail ist für diese Art der Beziehung ein wichtiges Werkzeug. Sie ermöglicht die Fortführung der Pflegebeziehung über die persönliche Konsultation hinaus und erleichtert es dem Patienten, seine Kompetenzen zu entdecken und zu nutzen. Das ist ein Vorteil für den Patienten ebenso wie für die Gesundheitsfachperson. Nicht zuletzt ist der Patient dann besser vorbereitet für die persönlichen Konsultationen.

Weitere Vorteile sind im Blogbeitrag mit wichtigen Erkenntnissen aus meiner Arbeit aufgeführt.

Beim Lesen Ihrer Arbeit hatte ich das Gefühl, dass für den Patienten viele Vorteile entstehen, während die Gesundheitsfachpersonen eher mit den Risiken der E-Mail-Kommunikation konfrontiert werden. Wie sehen Sie das?

Ja, die Herausforderungen betreffen wirklich vor allem die Pflegefachpersonen. Eine davon, die in der Literatur häufig genannt wird, ist, dass die Arbeitsbelastung für die Gesundheitsfachpersonen durch den zusätzlichen Kommunikationskanal zunimmt. Ich habe Arztpraxen gesehen, die wieder auf Telefonkommunikation umgestellt haben, weil sie nicht die Zeit hatten, die zahlreichen Patientenanfragen zu beantworten.

Was kann man tun, damit dies nicht passiert?

Ich denke, die Gesundheitsfachpersonen brauchen Hilfestellungen, wie die Kommunikation per E-Mail funktionieren kann. Denn in gewissen Arztpraxen funktioniert sie ja. Man kann schauen, welche Strategien diese Ärzte gefunden haben. Es gibt beispielsweise solche, die sich täglich etwas patientenfreie Zeit reservieren, um in Ruhe deren E-Mails zu beantworten.

Hilfestellungen sind also wichtig... In der Schweiz gibt es jedoch keine Richtlinien für die Nutzung der E-Mail für Gesundheitsfachpersonen. Halten Sie dies für ein Problem?

Ja, ich sehe darin schon ein Problem. Wir alle sind uns im privaten Kontext gewohnt, E-Mails zu schreiben. Doch als Gesundheitsfachperson im beruflichen Umfeld muss man aufpassen: Man muss sich wirklich Zeit nehmen, E-Mails zu schreiben, und sich ganz darauf konzentrieren. Denn eine E-Mail zu schreiben ist anspruchsvoll. Man muss sich gut überlegen, wie man etwas schreibt, damit keine Missverständnisse entstehen. Zudem ist die E-Mail eine Fortführung der Patientenbeziehung. Und diese kann Schaden nehmen durch ein einziges unsorgfältig gewähltes Wort. Oder nur schon, wenn man im Stress die Anrede weglässt oder falsch schreibt…

Denken Sie, die Gesundheitsfachpersonen wären sich dem bewusster, wenn es für die E-Mail-Kommunikation Richtlinien oder Empfehlungen gäbe?

Ja, ich denke, Information würde helfen, damit sich die Gesundheitsfachpersonen der Risiken der E-Mail-Kommunikation bewusster wären. So ist es beispielsweise schnell passiert, dass man eine E-Mail an den falschen Empfänger schickt. Es gibt sehr ähnliche Namen, gleiche Nachnamen, Zwillinge mit demselben Geburtsdatum… Man muss wirklich aufpassen. Und wer sensible Informationen an den falschen Empfänger sendet, verstösst gegen die Sorgfaltspflicht. Solcher Risiken müssen sich Gesundheitsfachpersonen bewusst sein, deshalb ist Information so wichtig.

Der Patient trägt jedoch ebenfalls Verantwortung für eine funktionierende Kommunikation per E-Mail, oder?

Ja, genau. Das Problem einer zu hohen Arbeitsbelastung für die Gesundheitsfachpersonen kann beispielsweise auch entstehen, weil der Kommunikationskanal E-Mail falsch genutzt oder missbraucht wird, zum Beispiel um komplexe Fragen zu besprechen. Ich selber nutze eine Charta, in der ich mit den Patienten gewisse Regeln für die E-Mail-Kommunikation festlege. Diese hilft mir und ihnen, damit die Mailkommunikation funktioniert und die Risiken minimiert werden.

Was steht denn in Ihrer Charta?

Ich definiere darin zum Beispiel, dass die E-Mail nur bei einfachen Fragen genutzt werden soll und dass sie bei dringenden Problemen und Fragen nicht geeignet ist. Des Weiteren steht in meiner Charta, dass die Patienten mich anrufen sollen, wenn sie sich nicht sicher sind, ob sie eine E-Mail richtig verstanden haben. Die E-Mail soll kein Mittel sein, sich vor dem Telefonieren zu drücken. Beim kleinsten Zweifel in der Interpretation einer Formulierung, ist ein persönliches oder telefonisches Gespräch nötig. Zu schnell kann es sonst zu Fehlern kommen. Auch habe ich in die Charta aufgenommen, dass die Patienten mir den Erhalt der E-Mail kurz bestätigen sollen. Dasselbe gilt auch für mich, wenn ich eine E-Mail von ihnen erhalte. Mir ist es wichtig, dass die Charta nicht einfach ein Papier zum Unterschreiben ist. Vielmehr nehme ich sie zum Anlass, den Patienten über die Risiken der Kommunikation per E-Mail zu informieren, auch in Bezug auf den Datenschutz. 

Gibt es auch Patienten, die nach Ihrer Information über die Datenschutzrisiken die Kommunikation per E-Mail ablehnen?

Das hatte ich bisher effektiv nur einmal. Ich sehe jedoch, dass die Patienten kurz innehalten und nachdenken, nachdem ich Ihnen die Risiken erklärt habe. Und das finde ich wichtig. Sie bestätigen mir dann, dass sie für ihre Blutzuckerwerte das Risiko eingehen können, dass E-Mails in seltenen Fällen abgefangen werden können. Dies bedeutet jedoch nicht zwingend, dass sie bei jeglichen Fragen rund um ihre Gesundheit mit der E-Mail-Kommunikation einverstanden sind…

Und zum Schluss nochmals eine Frage zu Ihrem Alltag als Pflegefachfrau mit Spezialisierung Diabetologie: Was schätzen Sie selber an der Kommunikation per E-Mail?

Ich mag die Nachvollziehbarkeit des Besprochenen, dass ich die Kommunikation jederzeit nachlesen kann. Zudem schätze ich es, dass die E-Mail ein asynchrones Medium ist: Ich muss nicht wie beim Telefon sofort anworten, sondern kann meine E-Mails am Abend lesen und in Ruhe beantworten.

Vielen Dank für das spannende Gespräch, Frau Daina-Laville!

Alessandro Vitale
Autor: Alessandro Vitale - Leiter Support

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Privat schlägt mein Herz für das italienische «Dolce Vita», Reisen an die Adria gehören für mich einfach dazu. Wenn das gerade nicht möglich ist, zaubere ich mir das italienische Lebensgefühl mit selbstgemachten Pasta-Gerichten in meine Küche. Daneben interessiere ich mich für technische Innovationen und lese viel in Fachblogs.

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