
Die staatliche E-ID als Türöffner für die digitale Schweiz – im Gespräch mit Nationalrat Gerhard Andrey
Die staatliche E-ID steht vor einem Neustart: Ab 2026 soll sie vollständig vom Bund betrieben werden, höchste Datenschutzstandards erfüllen und auf einer dezentralen Infrastruktur basieren. Nationalrat Gerhard Andrey sieht darin nicht nur ein technisches Vorhaben, sondern einen Schlüssel zu einer digitalen, souveränen Schweiz – mit weitreichenden Folgen bis ins Gesundheitsbereich.
Die staatliche E-ID steht erneut im politischen Fokus. 2021 hatte die Schweizer Stimmbevölkerung eine erste Vorlage abgelehnt vor allem, weil die Herausgabe in privaten Händen liegen sollte. Nun präsentiert der Bund ein überarbeitetes Modell: Die E-ID soll ab 2026 vollständig vom Staat betrieben werden, höchsten Datenschutzstandards entsprechen und auf einer dezentralen Infrastruktur basieren.
Im Interview spricht Nationalrat Gerhard Andrey über die E-ID als zentrales Element einer digitalen, souveränen Schweiz. Er erklärt, warum der Ausweis weit mehr ist als nur ein technisches Projekt, wie er den Gesundheitsbereich verändern könnte und welche Rolle Open Source, Dezentralisierung und Barrierefreiheit spielen.

Gerhard Andrey, Nationalrat GRÜNE & Unternehmer
Gerhard Andrey ist gelernter Schreiner, Holzingenieur HTL und Nachdiplom-Informatiker. Seit 2019 ist Gerhard Andrey Nationalrat der GRÜNEN Freiburg und engagiert sich politisch insbesondere für einen nachhaltigen Finanzmarkt und digitale Souveränität.
Herr Andrey, Sie setzen sich seit Jahren für digitale Innovationen und Datenschutz ein. Was motiviert Sie persönlich beim Thema E-ID?
Mich fasziniert die Digitalisierung seit Langem – besonders dann, wenn sie dem Gemeinwohl dient. Die Open-Source Gemeinde beweist seit Jahrzehnten, dass Wettbewerb und Zusammenarbeit Hand in Hand gehen können. Das führt zu digitalen Gemeingütern die gleichzeitig allen und niemandem gehören. So ist das wohl wichtigste Betriebssystem Linux, ohne das die moderne Digitalisierung undenkbar wäre, oder die umfangreichste Enzyklopädie Wikipedia entstanden. Ich halte das für eine zivilisatorische Errungenschaft.
Heute wird der Zugang in den Cyberspace dennoch von wenigen grossen Konzernen kontrolliert. Ich setze mich für eine Digitalisierung ein, die den Menschen ins Zentrum stellt und nicht die Geschäftsmodelle einer Handvoll unfassbar mächtiger Firmen.
Die staatliche E-ID spielt in diesem Zusammenhang eine fundamentale Rolle: Sie ist das Pendant der Identitätskarte im digitalen Raum, ein zentraler Open Source Service Public. Das ist eine hoheitliche Aufgabe, die nur der Staat vertrauenswürdig erfüllen kann und muss. Im Gegensatz zur Identitätskarte ist es aber möglich, bei der E-ID nur einzelne Eigenschaften preiszugeben. So ist es beispielsweise möglich, ein anonym ein Mindestalter zu belegen. Ohne Geburtsdatum, ohne Namen, ohne Datenspur. Das ist gelebter Datenschutz und ein riesiger Fortschritt. Zu oft muss man nämlich heute Daten preisgeben, ohne zu wissen was danach damit geschieht.
Was ist die staatliche E-ID?
Die staatliche E-ID ist eine amtliche digitale Identität. Sie ermöglicht allen Personen in der Schweiz, sich online bei Behörden oder privaten Anbietern sicher und eindeutig auszuweisen. Die Nutzung ist freiwillig. Die E-ID basiert auf einer modernen, dezentralen Infrastruktur und erfüllt höchste Datenschutz- und Sicherheitsstandards.
Wer gibt die E-ID heraus?
Die E-ID wird vollständig vom Staat herausgegeben und verwaltet, konkret vom Bundesamt für Polizei (Fedpol) und dem Bundesamt für Informatik und Telekommunikation (BIT). Die Kontrolle liegt damit beim Bund. Persönliche Daten werden nur für die Ausstellung genutzt und nicht zentral gespeichert. Der Staat hat keinen Einblick, wie die Besitzer ihre E-ID nutzen.
Anwendungsbeispiele:
- Privatwirtschaft: Identitätsprüfung bei Kontoeröffnung, Handyvertragsabschluss oder anonymer Altersnachweis (z. B. beim Kauf von Alkohol oder Tabak online oder im Geschäft)
- Behörden: Digitale Nachweise wie Führerausweis oder Wohnsitzbestätigung, Unternehmensgründung oder andere Behördengänge
- Politik: Elektronisches Unterschreiben von Initiativen
Welche Rolle spielt eine staatliche E-ID für die digitale Souveränität der Schweiz?
Heute sind wir in gewisser Weise einer privatisierten Digitalisierung ausgeliefert. Grosse Unternehmen sammeln Daten über unser Verhalten, nutzen diese, um Geld zu verdienen – und wir wissen oft nicht einmal mit welchen Geschäftsmodellen. Diese Daten werden eingesetzt, um uns zu beeinflussen, sei es bei Kaufentscheidungen oder bei Meinungsbildungsprozessen. Wir bewegen uns aktuell in einer stark kommerziell getriebenen digitalen Welt.
Eine E-ID, also ein staatlicher digitaler Ausweis, darf nicht in privater Hand liegen. Sie ist eine hoheitliche Aufgabe. Auch wenn sie für Nutzerinnen und Nutzer letztlich wie eine App auf dem Smartphone wirkt und komfortabel als digitale Identitätskarte funktioniert, steckt dahinter ein komplexes Projekt. Es wurde in der Schweiz, mit Schweizer Unternehmen, der Wissenschaft, der Zivilgesellschaft und Behörden in einem radikal inklusiven und transparenten Prozess über die vergangenen vier Jahre entwickelt. So ist nicht nur ein neuer Service Public entstanden, es wurde auch wertvolles Fachwissen geschaffen. Das stärkt unsere Fähigkeit, unabhängiger von Big Tech souverän unsere Digitalisierung zu gestalten.
Warum ist Ihnen diese Selbständigkeit so wichtig?
Wir müssen selbstbewusster und selbstbestimmter handeln – in der Schweiz und in Europa. Es darf nicht sein, dass nur Unternehmen aus den USA und Asien unsere digitale Infrastruktur gestalten. Das halte ich für unhaltbar. Das ist aus Sicht von Abhängigkeiten wie auch aus Sicherheitsgründen problematisch und betrifft am Ende auch Arbeitsplätze, die wir in der Schweiz halten sollten.
Die E-ID schafft dabei weit mehr als nur eine staatliche App: Es entsteht eine ganze Vertrauensinfrastruktur, die Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Verwaltung nutzen können. Darin können nicht nur amtliche Identitätsnachweise, sondern auch andere digitale Zertifikate abgelegt werden, wie zum Beispiel Hochschuldiplomen. Diese Infrastruktur schafft ein Ökosystem, das für die Schweiz wirtschaftlich, gesellschaftlich und administrativ enorm wertvoll sein kann.
Die E-ID schafft dabei weit mehr als nur eine staatliche App: Es entsteht eine ganze Vertrauensinfrastruktur, die Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Verwaltung nutzen können.
Viele Gesundheitsfachpersonen kennen bereits die HIN Identität. Wie unterscheidet sich die HIN eID von der staatlichen E-ID?
Der wesentliche Unterschied zur geplanten staatlichen E-ID besteht darin, dass diese eine amtliche digitale Identität darstellt. Die HIN eID hingegen ist eine standeseigene Infrastruktur für Gesundheitsfachpersonen mit spezifischen Rollen und Zugriffsrechten im HIN Vertrauensraum, welche die staatliche E-ID nicht abdecken.
Die HIN eID und die staatliche E-ID sind also komplementär und ergänzen sich gegenseitig. Beide erfüllen unterschiedliche Nutzungszwecke, die über die jeweils andere hinausgehen.
Beide Identitäten setzen auf das Konzept der Self-Sovereign Identity (SSI). Wo sehen Sie die Vorteile dieser Technologie?
Ich bin sehr froh, dass sich die Idee der Self-Sovereign Identity durchsetzt. Der entscheidende Vorteil dieses Ansatzes liegt in der Dezentralisierung der Identitätsstrukturen. Im Gegensatz zu zentralen Lösungen, bei denen grosse Datentöpfe mit sensiblen Informationen entstehen und somit ein erhöhtes Risiko für Datenmissbrauch oder -verlust besteht, ermöglicht SSI den Nutzenden, die Kontrolle über ihre eigenen Identitätsdaten zu behalten. Dass HIN und E-ID architektonisch in die gleiche Richtung gehen, ist sehr zu begrüssen.
Die Schweiz hat sich in diesem Bereich eine führende Position erarbeitet sowohl technologisch als auch gesetzgeberisch. Zwar mag die Schweiz gelegentlich als etwas zurückhaltend wahrgenommen werden, doch wenn sie handelt wie jetzt bei der E-ID, dann gründlich und mit hoher Qualität. Dank starker technischer Hochschulen und innovativer KMU gelingt es der Schweiz, in diesem Feld eine Spitzenposition einzunehmen.
Gibt es Synergien, wenn Staat und Privatwirtschaft auf die gleiche Technologie setzen?
Ein zentraler Aspekt der Digitalisierung ist der Fokus auf Open-Source-Software. Wenn staatliche und private Akteure in diese Richtung investieren, entsteht ein grosser Mehrwert: Die Software wird transparenter und sicherer. Zudem profitieren Projekte wie die HIN eID und die E-ID, die auf ähnliche technologische Konzepte setzen, gegenseitig voneinander und das Rad muss nicht jedes Mal neu erfunden werden. Open Source macht die Digitalisierung schneller, kosteneffizienter und demokratischer.
Beispiel Nutzung der E-ID: Jugendschutz
Mit der E-ID können anonyme Alterskontrollen im Internet oder in Geschäfte sicher und datensparsam umgesetzt werden z.B. beim Kauf von Alkohol oder Tabak, beim Zugriff auf jugendgefährdende Inhalte oder bei Online-Glücksspielen.
- Nur notwendige Daten: Unternehmen dürfen nur die Informationen abfragen, die sie tatsächlich brauchen. Zum Beispiel lediglich die Bestätigung „über 18“. Name, Adresse oder andere persönliche Angaben werden nicht weitergegeben.
- Keine staatliche Einsicht: Der Bund speichert keine Nutzungsdaten und hat keinen Einblick, wann oder wo die E-ID eingesetzt wird. Es entstehen keine Daten, die gegen die Person benutzt werden könnten.
- Kein Tracking: Auch die Plattform, auf der man sich ausweist, kann nicht erkennen, ob die gleiche E-ID schon einmal verwendet wurde.
So funktioniert die E-ID wie eine digitale Identitätskarte auf einem sicheren Kryptoprozessor. Sie ist minimal in den Datenfeldern und maximal im Schutz der Privatsphäre.
Was ändert sich konkret für Gesundheitsfachpersonen mit der Einführung der E-ID?
Die digitale Identifizierung gegenüber Plattformen oder Diensten (zum Beispiel im Onboarding-Prozess einer HIN eID) wird deutlich einfacher. Eine amtliche Identitätsprüfung kann online erfolgen, ohne dass eine physische Ausweisprüfung an einem Schalter oder eine Videoidentifizierung notwendig ist.
Langfristig könnte die E-ID auch innerhalb der Vertrauensinfrastruktur eine wichtige Rolle bei der Verwaltung von Patientendaten spielen, zum Beispiel als sicherer Nachweis im digitalen Wallet. Ich kann mir gut vorstellen, dass zukünftig die Patientengeschichte nicht mehr in einer zentralen Datenbank, wie es derzeit beim EPD vorgesehen ist, gespeichert wird, sondern dezentral auf den Wallets und Geräten der Patienten. Die Patienten hätten so die volle Kontrolle über ihre Daten und könnten bei Bedarf den Zugang zu Gesundheitsfachpersonen oder Einrichtungen freigeben, die sich wiederum mit der HIN eID als solche ausweisen. Mit einer dezentralen Lösung müsste man statt nur eine Datenbank zu hacken, auf Millionen von Geräten Zugang erhalten, um an die gleiche Menge an Daten zu gelangen. Dies wäre aus Datenschutz- und Sicherheitsaspekten eine moderne und sichere Lösung.
Und für Patientinnen und Patienten?
Auch hier bedeutet die E-ID weniger Hürden, schnellere Prozesse und vor allem mehr Barrierefreiheit und Inklusion für alle Beteiligten. Ein EPD könnte künftig viel einfacher beantragt und genutzt werden ohne komplizierte Wege oder lange Wartezeiten. Besonders für die 1,8 Millionen Menschen mit Einschränkungen, ältere Personen oder Menschen in abgelegenen Regionen entfällt der Zwang, persönlich zu einem Schalter zu gehen. So werden Behördengänge und der Zugang zu Gesundheitsleistungen für alle deutlich erleichtert und zugänglicher. Die E-ID erbringt damit einen wichtigen Service Public für die Bevölkerung.
Und um abzuschliessen: Was ist Ihre zentrale Botschaft ans Gesundheitswesen?
Ich habe sogar einen Dreiklang:
- Die einfachen Dinge richtig machen. In der Digitalisierung neigt man dazu, Schritte zu überspringen – das funktioniert nicht. Man muss zuerst solide Grundlagen schaffen und alle Akteure einbeziehen: von Patientinnen und Patienten über Leistungserbringende bis zu Systemanbietern.
- Dezentrale Datenspeicherung. Zentrale Datenbanken sind ein attraktives Ziel für Hacker. Wie bei der E-ID sollten auch Gesundheits- und Leistungsdaten dezentral gespeichert werden, um die Sicherheit zu erhöhen.
- Sharing is caring. Open Source ermöglicht, auf bestehende Software aufzubauen oder eigene Entwicklungen zu teilen, wovon andere profitieren. Dieses Modell fördert schnelle, gemeinschaftliche und dennoch wettbewerbsfähige Digitalisierung. Auf Bundesebene gilt bereits das Prinzip «Public money, public code» – öffentliche Gelder für Digitalisierung müssen in offene Software fliessen. Das bringt den grössten Nutzen für Gesellschaft und Wirtschaft.