
«Die Herausforderung ist, digitale Lösungen nicht nur anzuschaffen, sondern sie auch effektiv in den Arbeitsalltag zu integrieren.»
Thomas Müller ist Zahnarzt, Dozent und Berater im Bereich der digitalen Transformation. Im Interview zeigt er auf, was die «letzte Meile» der Digitalisierung ist, wie Praxen diese meistern können und warum dabei stets die Menschen im Mittelpunkt stehen.
Herr Dr. Müller, Sie haben unlängst das Institut für angewandte Dentronik gegründet. Was hat Sie dazu bewegt und welche Vision verfolgen Sie damit?
Das Institut für angewandte Dentronik entstand aus unserer Überzeugung, dass die Digitalisierung in der Zahnmedizin enormes Potenzial birgt, um Arbeitsabläufe zu optimieren und die Patientenversorgung zu verbessern. Unsere Vision ist es, Zahnarztpraxen die Werkzeuge und das Wissen an die Hand zu geben, um die digitale Transformation aktiv zu gestalten. Dabei steht immer der Mensch im Mittelpunkt – sowohl die Zahnärzte als auch die Patienten.

Dr. med. dent. Thomas Müller
Dr. med. dent. Thomas Müller (geb. 1964) ist Zahnarzt in Schaffhausen und Experte für digitale Transformation und Qualitätsmanagement in der Zahnmedizin. Nach dem Studium in Zürich und Promotion 1992 führt er seit 1999 eine eigene Praxis und gründete zudem Beratungsunternehmen wie Practice-to-practice und das Institut für angewandte Dentronik. Er ist Lehrbeauftragter, gefragter Referent und Autor von Fachpublikationen zu Themen wie Praxisführung, Digitalisierung und Qualitätsmanagement. Für seine Leistungen im Bereich der digitalen Transformation wurde er 2014 mit dem Digital Transformation Award ausgezeichnet.
Sie sprechen oft von der «letzten Meile der Praxisdigitalisierung». Was genau meinen Sie damit?
Die «letzte Meile» beschreibt die Herausforderung für Arztpraxen, Apotheken und andere ambulante Einrichtungen, digitale Lösungen nicht nur anzuschaffen, sondern sie auch effektiv in den Arbeitsalltag zu integrieren. Das setzt einen strategischen Ansatz und eine gezielte Teamtransformation voraus. Nur dann werden die Menschen und die Systeme nahtlos zusammenarbeiten können und wollen. All dies gelingt durch gezielte Schulungen und Anpassungen an die individuellen Bedürfnisse der Praxis. Der Nutzen zeigt sich in effizienteren Prozessen, reduzierten Fehlern, besserer, ruhigerer und konstanterer Teamzusammenarbeit und optimaler Patientenkommunikation. Der Schlüssel liegt darin, die Digitalisierung an die spezifischen Anforderungen der jeweiligen Organisation anzupassen.
Wie unterstützen Sie Zahnarztpraxen konkret?
Wir schulen Zahnarztpraxen in strategischem Wissensmanagement. Dazu setzen wir digitale Plattformen für die Verbesserung der Zusammenarbeit ein (z.B. Q.wiki von Modell Aachen GmbH). KI-Systeme helfen dabei, relevante und tagesaktuelle Inhalte – beispielsweise eine Instruktion oder einen Prozess – rascher zu erstellen und diese strukturiert im praxiseigenen Wiki zu konservieren. Diese Inhalte können dank KI-Tools einfach auf verschiedenen Lernpfaden und für die tägliche Anwendung dem Team zur Verfügung gestellt werden, beispielsweise als Merkblatt, Folienpräsentation, Video oder Podcast. Das macht die Teamarbeit letztendlich ruhiger, geschmeidiger und kompetenter, weil alle Mitarbeitenden «vom Gleichen» sprechen. Weiter unterstützen wir Teams bei der stufenweisen Implementierung von künstlicher Intelligenz in verschiedensten Bereichen der Praxen von der Planung bis zur Kommunikation. Hier ist besonders auf den ethisch korrekten Umgang mit den neuen Technologien zu achten.

Was ich darf ...
In welchen Bereichen generative KI im Gesundheitswesen verwendet werden darf.
Quelle: Thomas Müller
Sie sprechen das Thema Künstliche Intelligenz (KI) an, das ja zurzeit in aller Munde ist. Wofür setzen Sie in Ihrer Praxis heute bereits KI ein?
Zur Analyse von Röntgenbildern und zur Entscheidungsunterstützung bei der Karies-Diagnostik setzen wir KI gezielt ein. Sie hilft uns dabei, potenzielle Probleme frühzeitig zu erkennen und Therapiepläne zu optimieren. Weiter nutzen wir generative künstliche Intelligenz und verschiedene grosse Sprachmodelle (Large Language Models, LLMs) für die Ausformulierung von Arbeitsabläufen, die Suche nach Studien, die strukturierte Weitergabe von internem Wissen, die Analyse von Praxiskennzahlen sowie für die Bereitstellung individualisierter Patienteninformationen u.v.m. Darüber hinaus dient mir persönlich z.B. ChatGPT hervorragend als Sparringpartner in verschiedensten Situationen der Teamführung. Der Austausch mit ChatGPT erweitert meine Blickwinkel und hilft mir, blinde Flecken zu entdecken. Vorsichtig und wachsam (in Bezug auf sogenannte Halluzinationen) nutze ich die LLMs auch als klinische Entscheidungsunterstützung (Decision Support System DSS): beispielsweise als Hilfe bei polymedizierten Patienten, um das Risiko von Eingriffen besser einzuschätzen.
Wo liegt Ihrer Meinung nach das grösste Potenzial von KI in der (Zahn-)Medizin für die nächsten Jahre?
In den nächsten Jahren sehe ich grosses Potenzial in personalisierten Behandlungsplänen, die auf KI-Analysen basieren. Zudem könnten Chat-Bots die Patientenkommunikation verbessern, indem sie einfache Anfragen beantworten oder Vorsorgeempfehlungen geben (Telefonbots entlasten dann die Telefonzentrale). Langfristig wird die Integration von KI in chirurgische Assistenzsysteme bahnbrechend sein. Mit jeder weiteren Entwicklung der LLMs werden auch die Decision Support Systeme besser und zuverlässiger. Damit wird künftig das ganze therapeutische Team massiv unterstützt und wir können unseren Job noch besser machen. Die Konvergenz von Weiterentwicklung im Bereich Künstlicher Intelligenz und Robotik wird uns viele neue Einsatzmöglichkeiten im Gesundheitswesen eröffnen und so einen positiven Effekt in Bezug auf den Fachkräftemangel haben.

Was ich nicht darf ...
In welchen Bereichen generative KI im medizinischen Kontext nicht verwendet werden darf.
Quelle: Thomas Müller
Sie sind auch Dozent im CAS «Digital Health erfolgreich umsetzen in der Praxis», das vom Institut für Kommunikation und Führung IKF in Kooperation mit HIN angeboten wird. Welche Rolle spielt für Sie die berufsbegleitende Aus- und Weiterbildung für eine erfolgreiche digitale Transformation?
Die Weitergabe meines Wissens ist mir wichtig, weil sie mir die Gelegenheit gibt, Erfahrungen zu teilen und andere auf ihrem Weg zu unterstützen. Besonders schätze ich es, praktische Ansätze zu vermitteln und gemeinsam mit den Teilnehmenden Lösungen für ihre digitalen Anliegen zu erarbeiten. Berufsbegleitende Weiterbildungen sehe ich als unverzichtbar an, um mit den technologischen Entwicklungen Schritt zu halten und starke Netzwerke aufzubauen, die den Wandel in der Praxis aktiv gestalten.
Als Zahnarzt mit eigener Praxis, als Innovator, als Berater und als Dozent sind Sie vielfältig engagiert. Wie bringen Sie alle diese Tätigkeiten unter einen Hut?
Intrinsische Motivation und ein hohes Mass an Neugier bilden die Grundlage meines Engagements. Unterstützt werde ich von einem hochmotivierten Team, das mich inspiriert und entlastet. Durch eine klare Strukturierung meines Alltags und gezielte Delegation gelingt es mir, alle Aufgaben effektiv zu bewältigen. Jede meiner Tätigkeiten bringt neue Perspektiven mit sich und bereichert mein Gesamtengagement.
Weiterbildungsangebot «Future of Healtcare»
Das Institut für Kommunikation & Führung (IKF) bietet in Zusammenarbeit mit HIN spannende Formate an wie den Zertifikatskurs (CAS) «Digital Health erfolgreich umsetzen in der Praxis». Die Weiterbildungen richten sich an Fachpersonen im Gesundheitswesen, die Digitalisierungsvorhaben gezielt und erfolgreich umsetzen möchten. HIN Mitglieder profitieren von bevorzugten Konditionen.