Branchen im Zeichen der Pandemie – Yvonne Gilli über das Gesundheitswesen

Die Pandemie stellt uns vor noch nie dagewesene Herausforderungen, die in jeder Branche bereits ihre Spuren hinterliessen. Wie tief diese im Gesundheitswesen sind und welche Chancen daraus entstehen können, erklärt mir Yvonne Gilli im Interview. Sie ist Fachärztin für Allgemeine Innere Medizin, führt eine eigene Praxis und wurde 2020 zur Präsidentin der Ärztevereinigung FMH gewählt.
Janine: Die Pandemie stellte das Gesundheitswesen vor immense Herausforderungen. Welche Spuren hat die Bewältigung des vergangenen Jahres hinterlassen? Und inwiefern werden diese Einfluss auf die Zukunft haben?Yvonne Gilli: Die Pandemie hat uns sehr unerwartet und unmittelbar betroffen. Von einem Tag auf den andern waren die Spitäler bis über ihre Kapazitätsgrenze mit schwer an Covid-19 Erkrankten gefüllt. Das allein war schon unvorstellbar für uns vor dem Frühling 2020, und ebenso unvorstellbar war, dass wir zum Jahresende 2020 nochmals an die Grenzen stossen, welche die sichere und gewohnte Versorgungsqualität gewährleisten können. Wie jede Krise deckt auch die Pandemie schonungslos die Schwachstellen in unserer Gesellschaft und in der Gesundheitsversorgung auf: Wir können die ältesten Menschen nur ungenügend schützen. Wir verfügen nicht über standardisierte digitale Meldesysteme. Der Schweizer «Kantönligeist» führte zu einem bunten Strauss an unterschiedlichen Massnahmen mit ungenügender Wirkung in Bezug auf die Pandemie, und mit einer existenzbedrohenden Wirkung auf einzelne Wirtschaftsbranchen. Für Pflegefachpersonen genauso wie für Ärzte und Ärztinnen in Spitälern stellt die Pandemie einen Dauermarathon im Kampf um das Überleben ihrer Patienten dar, der psychisch belastend und körperlich erschöpfend ist. Betroffene Patientinnen und Patienten durchlebten zum Teil eine schwerste Erkrankung und leiden unter anhaltenden und beeinträchtigenden Symptomen. Noch stehen wir «in der Akutphase» bei der Bekämpfung der Pandemie. Erst die Zukunft wird uns einen bewertenden Rückblick erlauben.
Porträtbild Yvonne Gilli
Yvonne Gilli wurde 2020 zur neuen Präsidentin der Ärzteverbindung FMH gewählt. Sie ist Fachärztin für Allgemeine Innere Medizin und führt eine eigene Praxis in Wil im Kanton St. Gallen.
Welche Herausforderungen dieser Zeit sehen Sie als besonders belastend für die Branche? Und aus welchen können Chancen entstehen?Ich sehe in jeder besonders belastenden Herausforderung auch eine Chance. In Alters- und Pflegeinstitutionen sind wir eingeladen, den Personalbedarf und den Personalmix bezüglich Qualifikation zu überdenken, und diesen zeitnah auch die benötigten professionellen Ressourcen sowie Unterstützung in der Erarbeitung von wirksamen Schutzkonzepten zur Verfügung stellen. Die hauptbetroffenen Gesundheitsfachpersonen in den Spitälern müssen für ihren unglaublichen Langzeiteinsatz eine Kompensation erhalten. Wir brauchen ihre Kompetenz auch in Zukunft. Ihnen ist nach Bedarf auch Erholungszeit und psychotherapeutische Unterstützung zu gewähren. Die Gesundheitsfachpersonen können und sollen beteiligt werden an der Erarbeitung und Umsetzung von Massnahmen und an einer laufenden Auswertung der erzielten Wirkung. Auf diese Weise können wir sehr schnell einen Erkenntnisgewinn erreichen.
Die institutionalisierte Zusammenarbeit und Vernetzung von politischen Verantwortungsträgern, den Verbänden der Gesundheitsfachpersonen und der für die Gesundheitsversorgung kritischen Institutionen sowie der wissenschaftlichen Expertise hat noch grosses Potenzial für Verbesserung.
Geschichten von überlasteten Spitälern mit überarbeitetem Pflegepersonal machen die Runde. Was muss nach Ihrer Meinung geschehen, um die momentane Situation verbessern zu können?In einem ersten Schritt müssen die politischen Entscheidungsträger handeln mit schnellen und koordinierten Massnahmen. Es ist wie ein Mantra, ist aber nicht auf freiwilliger Basis zu erreichen: Kontakte reduzieren, Abstand halten, Hände und Kontaktflächen desinfizieren. Wir wissen alle aus der Zeit des Lockdowns im Frühling 2020, dass diese Massnahmen wirken. Natürlich muss es ein gemeinsames Ziel sein, die Behandlung der Erkrankten zu verbessern und gefährdete Personen besser zu schützen, damit auf wirtschaftlich sehr belastende Einschränkungen verzichtet werden kann. Bereits in der zweiten Welle gelangen wichtige Behandlungsfortschritte und die erste Impfung ist erhältlich.Der Schweizerische Samariterbund fördert den Einsatz von Freiwilligen im Rettungs-, Gesundheits- und Sozialwesen. Unter anderem sind Samariter in unterschiedlichen Bereichen zum Schutz vor dem Coronavirus aktiv. Dazu gehört auch die Unterstützung in Corona-Testcentern. Als wie wichtig erachten Sie diese Hilfe?Unsere Gesellschaft wird immer auf Freiwilligeneinsatz zählen müssen und auf diesen zählen können. Freiwilligenarbeit muss von denjenigen Personen angefordert und eingesetzt werden, die ihn benötigen. Allein sie können beurteilen, was sie brauchen und für welche Arbeit sich Freiwillige einsetzen lassen. Die Bereitschaft zu Freiwilligenarbeit ist ein schönes Zeichen solidarischen Handelns – und genau diese Solidarität brauchen wir für jeden Schritt der Pandemiebewältigung – von der Prävention bis zur Erholung.Wir wollten unseren Kunden dieses Jahr etwas mit auf die Reise ins 2021 geben, das positive Spuren hinterlässt. Spuren von Hoffnung und der Zuversicht, dass wir die Herausforderungen des verganenen Jahres zum Besseren wenden können. Deshalb wurden im Namen der HIN Community Spenden an drei Organisationen getätigt. Eine der Drei geht an die Samariter, die Spitäler, Gemeinschaftspraxen und Covid-19-Testcenter unterstützen.