“E-Government ist viel mehr als Informatik”

Durch vieldiskutierte Themen wie das Elektronische Patientendossiergesetz EPDG ist der Begriff E-Health den Akteuren im Gesundheitswesen geläufig. Doch wie werden die digitalen Möglichkeiten in anderen Bereichen genutzt?
Doch wie werden die digitalen Möglichkeiten in anderen Bereichen genutzt? Um mehr zum Thema E-Government zu erfahren, haben wir Marlies Pfister, Leiterin Fachstelle E-Government Aargau, und Christian Dolf, Geschäftsleiter E-Government St. Gallen von 2004 bis 2011, befragt. Dabei sind wir immer wieder auf Parallelen zu E-Health gestossen.
Was ist E-Government?„Beim E-Government geht es um das vernetzte Zusammenarbeiten, und zwar einerseits innerhalb der Verwaltung, also unter den verschiedenen Dienststellen, aber auch mit externen Akteuren wie Unternehmen und Einwohnern. Prozesse werden effizienter gestaltet und mit Hilfe moderner Technologien medienbruchfrei angeboten“, definiert Herr Dolf den Begriff. Diese Veränderung ist Teil der gesellschaftlichen Entwicklung, wie Frau Pfister es beschreibt: „Internet und Smart Phones gehören heute zum Alltag und sind nicht mehr daraus wegzudenken. Wir als Verwaltung können uns den Erwartungen der Kunden bezüglich Online-Dienstleistungen nicht entziehen.“
Beispielprojekte kennen beide: „Wir haben im Kanton Aargau nicht nur einen Reservationsservice, mit dem man Sitzungsräume, Schwimmhallen, Turnhallen, Parkplätze, Fahrzeuge und diverse weitere Dienste einfach reservieren kann, sondern auch Online-Services für Jagdpässe, Fischereikarten und andere Bewilligungen“, erzählt Frau Pfister. Herr Dolf nennt das aktuelle, schweizweite E-Government Projekt E-Umzug. Zieht jemand um, wird er künftig seine Adresse online ändern können und das Strassenverkehrsamt, das Steueramt, die Post, Spitäler und Ärzte sowie weitere Stellen, welche diese Information benötigen, werden automatisch informiert werden. Sofern kein gesetzlicher Meldeauftrag besteht, wird der Bürger bestimmen können, welche Unternehmen die Informationen erhalten.
Grösser Denken und das Ganze im Blick behaltenIm E-Government geht es darum, sich bestmöglich zu vernetzen, Informationen zu verwalten und zu kommunizieren, um Prozesse effizient abzuwickeln. Was dies konkret für die Umsetzung heisst, erläutert uns Frau Pfister: „Vielfach setzen die Leute E-Government mit Informatik gleich. Aber so ist es definitiv nicht. Es ist viel mehr! Es ist breiter, umfassender und betrifft hauptsächlich die Arbeitsprozesse und die Organisation. Mit E-Government hört die Zuständigkeit des Einzelnen nicht mehr einfach an der Bürotür auf. Vernetztes Denken und eine ganzheitliche Sicht sind gefordert. So kostet ein Projekt vielleicht vordergründig mehr, weil gewisse Standards eingehalten werden müssen. Doch der Nutzen erhöht sich durch die daraus entstehende Interoperabilität: Das System kann nahtlos mit anderen Systemen zusammenarbeiten und die Resultate können in späteren Projekten weiterverwendet werden.“E-Government führt zu Veränderungen in Struktur und OrganisationDieses Umdenken bedingt gemäss Frau Pfister auch, dass man sich über die eigene Struktur Gedanken machen und gegebenenfalls die bisherige Organisation anpassen muss, was nicht immer einfach ist: „Alles, was mit Veränderung im eigenen Umfeld zu tun hat, erzeugt vielerorts immer noch Widerstand und Angst. Veränderung als Chance zu sehen gelingt nicht allen gleich gut.“Sensibilisierung und das Wecken der Bereitschaft mitzumachen„Verständnis wecken, Aufklärungsarbeit leisten und die Leute trotz anfänglichem Misstrauen vom Nutzen von E-Government zu überzeugen sind ein nicht zu unterschätzender Teil meiner Arbeit“, erklärt Frau Pfister. Dass selbst die beste Informatiklösung nichts nützt, wenn die Beteiligten nicht bereit sind, aktiv daran mitzuarbeiten, zeigt uns Herr Dolf an den Anfangsschwierigkeiten eines Projektes aus dem E-Health Bereich: „Im Kanton St. Gallen hat man den freischaffenden Ärzten elektronischen Zugriff auf die Spitalaustrittsberichte ihrer Managed Care Patienten ermöglicht, um den Informationsfluss zu verbessern. Aber anfangs wurden die Austrittsberichte zum Teil erst spät vom Spital freigegeben und somit anderen Leistungserbringern zur Verfügung gestellt.“ Was dazu führte, dass der Nutzen nicht so gross war wie erhofft. Inzwischen wurden die Spital-internen Prozesse entsprechend optimiert und harmonisiert.

„Den Nutzen von E-Government kann man nur schwer quantifizieren. Oft äussert er sich als Qualitätsverbesserung und Zeitersparnis im Arbeitsalltag der Mitarbeitenden und bei den Kunden.“

Qualitätsverbesserung und Zeitersparnis nicht monetär messbarDen Nutzen und die Vorteile von E-Government zu vermitteln, sei aus vielen Gründen nicht immer einfach. „Oft äussert sich der Nutzen von E-Government Projekten als Qualitätsverbesserung und Zeitersparnis im Arbeitsalltag der Mitarbeitenden und bei den Kunden. Den Nutzen davon, dass z.B. alle Abteilungen das gleiche System nutzen, auf dieselben Daten zugreifen und somit schneller auskunftsbereit sind, kann man nur schwer quantifizieren“, erklärt Frau Pfister. Des Weiteren falle der Nutzen oft nicht dort an, wo die Investition getätigt werden müssen. Zum Beispiel werde durch eine Verwaltungsstelle eine Lösung realisiert, wovon auch verschiedene Gemeinden oder Service-Nutzer wie Einwohnerinnen und Einwohner oder KMUs profitieren.Bereits eine gewisse Sensibilisierung im E-Government erreichtHerr Dolf und Frau Pfister sind sich einig, dass für das Thema E-Government bereits eine gewisse Sensibilisierung erreicht werden konnte, und zwar sowohl innerhalb der kantonalen Verwaltung als auch bei der Bevölkerung. Gemäss Herr Dolf reichen im Kanton St. Gallen bereits über 50% der Bevölkerung ihre Steuererklärung elektronisch ein. Wohingegen die Bevölkerung ihre Gesundheitsdaten erst in geringem Umfang elektronisch bewirtschafte. „Im E-Health Bereich braucht es noch weitere Sensibilisierungs- und Informationskampagnen“, erklärt Herr Dolf.Interesse an Zusammenarbeit zwischen E-Government und E-HealthUnd wie stehen die Bereiche E-Government und E-Health zueinander? Frau Pfister gibt uns ein Beispiel, wie die beiden Bereiche voneinander profitieren konnten: „Durch das E-Health Programm wurde die gesetzliche Grundlage des Datenschutz- und Gesundheitsgesetzes angepasst. Dies ermöglicht es, Projekte mit sensiblen Daten während einer beschränkten Zeit zu pilotieren, ohne vorher eine gesetzliche Grundlage dafür zu schaffen. In dieses Gesetz wurden auch E-Government Projekte eingeschlossen, so dass beide Bereiche davon profitieren.“

„Es ist heute von Seite E-Government ein grosses Interesse da, die effiziente Zusammenarbeit im und mit dem Gesundheitswesen stärker gemeinsam zu gestalten.“

In St. Gallen wurden E-Government und E-Health anfangs als zwei separate Disziplinen betrachtet und man fand wenige Berührungspunkte. Erst in jüngerer Zeit erkannte man das Potenzial einer Zusammenarbeit der Bereiche. „Letztendlich kann E-Health als ein Teil von E-Government betrachtet werden: Die entstehenden Kosten für Gesundheitsvorsorge und – versorgung liegen schlussendlich im Verantwortungsbereich der Verwaltung. Und die medizinische Versorgung ist einer der Aspekte, nach denen die Bevölkerung und die Industrie die Standortattraktivität beurteilen, so dass dieser Aspekt auch von der Verwaltung miteinbezogen werden muss“, erklärt Herr Dolf. Den heutigen Stand fasst er wie folgt zusammen: „Es ist heute von Seite E-Government ein grosses Interesse da, die effiziente Zusammenarbeit im und mit dem Gesundheitswesen stärker gemeinsam zu gestalten. Bezüglich übergreifender Zusammenarbeit bietet die Bundesrätliche Strategie zur Informationsgesellschaft in der Schweiz einen idealen Rahmen. E-Economy und E-Education können zusätzlich mit einbezogen werden, so dass gewisse Themen von allgemeinem Interesse, wie zum Beispiel Datenmanagement, kundenzentrierte Portale oder übergreifende Prozesse, gemeinsam gestaltet werden können.“E-Government und die bereichsübergreifende Zusammenarbeit gehen weiterDie Gespräche mit Frau Pfister und Herr Dolf zeigten uns, dass E-Government, E-Health sowie die bereichsübergreifende Zusammenarbeit immer wieder auf Herausforderungen und Widerstand treffen. Die Fortschritte, welche die beiden Kantone Aargau und St. Gallen dennoch bereits erreichen konnten, sind beachtlich. Und sowohl Marlies Pfister als auch Christian Dolf, der sein Wissen heute wieder vermehrt im E-Health Bereich einsetzt, haben noch zahlreiche, ehrgeizige Ziele vor Augen. „Das Ziel für mich ist, dass E-Government als Thema eines Tages von der Agenda verschwunden ist und einfach selbstverständlich ist, wie man heute E-Mail und Internet nutzt“, erklärt Frau Pfister.

Marlies Pfister ist seit April 2010 Leiterin der Fachstelle E-Government des Kantons Aargau. Davor war sie 10 Jahre in der Bundesverwaltung in Bern in verschiedenen Funktionen tätig.

Christian Dolf hat 10 Jahre beim Kanton St. Gallen als strategischer Projektleiter gearbeitet, davon 7 Jahre als Geschäftsleiter E-Government. Heute ist er Consultant und Projektleiter bei BINT, einem Unternehmen mit Spezialisierung auf komplexe, integrierte IT-Lösungen.