«Das EPD hat den Vorteil, dass es potentiell die ganze Bevölkerung und alle Gesundheitsfachpersonen integriert»

Nach wiederholten Verzögerungen soll das elektronische Patientendossier (EPD) dieses Jahr schweizweit eingeführt werden. Was bedeutet das für die Gesundheitsfachpersonen und wie können sie sich vorbereiten? Darüber habe ich mich mit Adrian Schmid unterhalten. Er ist Leiter des nationalen Koordinationsorgans eHealth Suisse.

 

HIN: Die Digitalisierung im Gesundheitswesen erfährt aktuell einen Schub – nicht zuletzt, weil durch die Corona-Pandemie gewisse Defizite sichtbar wurden. Wird auch das EPD von dieser Aufbruchsstimmung profitieren?

Adrian Schmid: Das hoffen wir. Man muss sich aber bewusst sein, dass es einige Zeit braucht, bis das EPD seinen Nutzen entfalten kann. Dieser steigt, je mehr Menschen für sich ein EPD eröffnen – und je mehr Gesundheitsfachpersonen die behandlungsrelevanten Unterlagen ihrer Patienten dort ablegen.

 

Video zur Datensicherheit beim EPD von eHealth Suisse: «Kurz erklärt: Wie sicher ist das elektronische Patientendossier (EPD)?»

In letzter Zeit gab es widersprüchliche Signale zur bevorstehenden EPD-Einführung. Wo steht das EPD aktuell?

Mit eHealth Aargau und eHealth Südost haben zwei regionale Umsetzungsprojekte die Zertifizierung bestanden. Bei den anderen Stammgemeinschaften laufen die Verfahren noch – und diese dauern länger als erwartet. Aber es gibt Licht am Ende des Tunnels. Wenn die Planungen aufgehen, dann sollte ein schrittweiser Start in allen Regionen bis Ende Jahr möglich sein. Die Zertifizierung muss aber zum Schutz der Patientinnen und Patienten sorgfältig durchgeführt werden. Eine konkrete Prognose für den Abschluss dieser Arbeiten bleibt deshalb schwierig.

 

Welche Meilensteine wurden beim EPD bereits erreicht?

Im letzten Dezember hat der Aargauer Regierungsrat Jean-Pierre Gallati im Kantonsspital Baden das erste EPD der Schweiz eröffnet. Auch im Kanton Graubünden gibt es bereits erste Dossiers im Umfeld der Spitäler. Wer ein EPD haben will – oder als Gesundheitsfachperson darauf zugreifen will – braucht dafür ein zertifiziertes Identifikationsmittel. Hier gibt es bereits zwei EPD-konforme Angebote auf dem Markt. Somit können sich die Gesundheitsfachpersonen schon heute mit einer solchen elektronischen Identität, kurz eID, ausstatten. Treten sie anschliessend noch einer (Stamm-)Gemeinschaft bei, sind sie «EPD-ready». Und wir hoffen, dass es im Interesse der Patientinnen und Patienten sehr viele EPD-Anschlüsse im ambulanten Bereich gibt, obwohl dies noch freiwillig ist.

 

«Gesundheitsfachpersonen, welche die Interessen ihrer Patientinnen und Patienten ernst nehmen, schliessen sich dem EPD an.»

 

Die Politik ist aktuell daran, diese Freiwilligkeit aufzuheben und auch ambulante Leistungserbringer zur EPD-Teilnahme zu verpflichten. Begrüssen Sie diese Entwicklung?

Gesundheitsfachpersonen, welche die Interessen ihrer Patientinnen und Patienten ernst nehmen, schliessen sich dem EPD an, mit oder ohne Pflicht. Diese Aussage tönt vielleicht anmassend, aus Patientensicht ist der heutige Informationsaustausch unter den Behandelnden aber ganz einfach nicht mehr zeitgemäss. Es wäre schön, wenn es für eine flächendeckende Verbreitung des EPD keine Pflicht brauchen würde, aber das ist vermutlich eine Illusion.

 

Die EPD-Einführung ist für teilnehmende Institutionen ein komplexes Projekt. Was können diese heute schon anpacken und umsetzen?

Je grösser die Institution, desto früher sollte die Einführung geplant werden. Technisch ist der Aufwand für den Anschluss an die Plattformen der (Stamm-)Gemeinschaften mit einem gut geplanten Integrationsprojekt überschaubar. Die grosse Herausforderung ist aber der organisatorische Teil. Dazu gehört zum Beispiel die Frage, welche Personen in welchen Rollen im klinischen Alltag die Dokumente im EPD abrufen oder ablegen. Diese Abläufe müssen definiert werden, und alle zugriffsberechtigten Personen brauchen eine EPD-konforme eID. Das sollte möglichst frühzeitig geklärt und umgesetzt werden.

 

Zugriff auf das EPD mit zertifizierter eID von HIN

Für den Zugriff auf das EPD benötigen Patientinnen und Patienten sowie Gesundheitsfachpersonen eine EPD-konforme elektronische Identität (eID). HIN ist seit 2019 für das EPD zertifiziert – als erster Identitätsanbieter in der Schweiz. Für das EPD gelten gemäss Gesetz besonders hohe Sicherheitsanforderungen, daher sind nur eIDs EPD-konform, welche ein genügend hohes Vertrauenslevel aufweisen. Prüfen sie darum bereits jetzt, ob Ihre HIN eID die Voraussetzungen erfüllt! Mehr zum Thema erfahren Sie in unserem aktuellen Hintergrund-Beitrag.

Die Diskussion beim EPD dreht sich vor allem um technische Themen wie den Aufbau und Betrieb von Systemen und Plattformen. Müsste man nicht den Kulturwandel stärker betonen, der mit dem EPD einhergehen wird? Schliesslich erhalten die Patientinnen und Patienten damit die Hoheit über ihre Gesundheitsdaten.

Einverstanden, ein solcher Kulturwandel ist erwünscht. Für die Bevölkerung ist es ein grosser Mehrwert, auf alle relevanten Informationen zugreifen zu können – und diese jederzeit in aller Ruhe studieren zu können. Gut informierte und gesundheitskompetente Patienten sind auch im Interesse ihrer Behandelnden. Aber das Wort «Kulturwandel» kann auch Widerstand auslösen. In der digitalen Transformation muss es gelingen, das Potential auszuschöpfen, ohne wichtige Werte zu verlieren. Und das Wichtigste bei einer Krankheit ist das vertrauensvolle Gespräch zwischen Patienten und ihren Behandelnden. Keine Technik kann dieses ersetzen.

 

Das EPD ist auf die Patienten ausgerichtet, quasi als Schlüssel zu ihren Gesundheitsdaten. Welchen Nutzen haben Gesundheitsfachpersonen davon?

Diese Frage kommt immer wieder, aber sie erstaunt mich nach wie vor. Wenn ich selber als Patient unterwegs bin, beobachte ich genau, wie meine Behandelnden die Informationen zu meinem Fall austauschen – oder eben nicht. Meistens verlange ich die Unterlagen und bringe sie selber in die Physiotherapie oder zur Apotheke. Und wenn ich dann frage, ob ein einheitlicher Zugang zu den wichtigsten Unterlagen nicht sinnvoll wäre, dann wird das immer bejaht. In einer Spitalumfrage im letzten Jahr haben fast 60 Prozent der Befragten aus Medizin und Pflege der Aussage zugestimmt, dass das EPD den Patienten im Spital einen Mehrwert bringt. Und in einer anderen Befragung haben rund 45 Prozent der ambulanten Ärzteschaft ausgesagt, sie würden sich dem EPD anschliessen, obwohl dies noch freiwillig ist.

 

«Keine Technik kann das vertrauensvolle Gespräch zwischen Patienten und ihren Behandelnden ersetzen.»

 

Das E-ID-Gesetz (BGEID) wurde soeben vom Volk abgelehnt. Längerfristig wäre die darin geregelte elektronische Identität auch für das EPD gedacht gewesen. Welche Auswirkungen hat der Volksentscheid auf das EPD?

Direkt keinen. Für (Stamm-)Gemeinschaften, Herausgeber von Identifikationsmitteln und Zertifizierungsstellen bestehen die gleichen Pflichten wie bisher. Diese basieren auf den rechtlichen Grundlagen des EPD. Dort ist festgelegt, dass Identifikationsmittel eingesetzt werden müssen, die nach klaren Vorgaben zertifiziert werden. Diesen Zusammenhang muss man jetzt vermehrt erklären.

 

Das BGEID dürfte auch deshalb gescheitert sein, weil die Bevölkerung privat- oder gemischtwirtschaftlichen Ansätzen misstraut. Auch beim EPD sind verschiedene Unternehmen beteiligt. Was bedeutet das für den Datenschutz und die Sicherheit sensibler Daten?

Dazu kann man eine klare Aussage machen: Keine der am EPD beteiligten Firmen hat Zugriff auf die Daten im EPD. Aber jede technische Infrastruktur braucht Systemadministratoren, welche die Systeme warten und den Betrieb sicherstellen. In den Datenschutz- und Datensicherheitsanforderungen zum EPD ist festgehalten, dass administrative Zugriffe dieser Personen «nur in definierten Einzelfällen» erfolgen dürfen.

 

E-Health und M-Health boomen: Viele Menschen zeichnen ihre Körperwerte mit dem Smartphone auf, globale Player wie Apple und Google sind mit eigenen Plattformen in den Startlöchern. Wird da das Schweizer EPD nicht immer hinterherhinken?

Private Anbieter haben den Vorteil, dass sie rasch tolle Angebote lancieren können. Sie haben aber den Nachteil, dass sie in ihrer Reichweite immer begrenzt sind. Kein Arzt und kein Spital ist bereit, für jeden Patienten die Informationen in unterschiedlichen Plattformen zu suchen. Dafür fehlt die Zeit. Als national einheitliche Plattform hat das EPD den Vorteil, dass es potentiell die ganze Bevölkerung und alle Gesundheitsfachpersonen integriert. Und es spricht nichts dagegen, dass man Körperwerte aus mobilen Geräten im eigenen EPD ablegt und so allen Behandelnden zugänglich machen kann. Im Gegenteil: Das ist ein grosser Mehrwert für das EPD.

 

Portrait Adrian Schmid

Über Adrian Schmid

Adrian Schmid ist seit Anfang 2008 Leiter von eHealth Suisse, der Kompetenz- und Koordinationsstelle von Bund und Kantonen. Nach einem pädagogischen Studium war er während vielen Jahren als Redaktor bei verschiedenen Schweizer Medien tätig (mit Spezialgebiet «Gesundheitspolitik»). Später arbeitete er als Projektleiter im Bundesamt für Gesundheit und leitete in dieser Funktion die Arbeiten an der ersten Strategie eHealth Schweiz.