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Chaos und Ordnung: Wie Datenstandards und Generative AI im Gesundheitswesen Hand in Hand gehen

Gastautor / Auteur invité / Autori ospiti
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Was braucht es, damit uns im Gesundheitswesen Generative AI (GenAI) massgeblich unterstützen kann, ohne wild zu halluzinieren? Es ist die Kombination von Datenstandards und KI. Was das heisst, erfahren Sie im Gastbeitrag von Dr. Yanick X. Lukic. Er zeigt auch auf, wie HIN fürs Schweizer Gesundheitswesen dabei eine wichtige Rolle spielen kann.

Unstrukturierte Daten sind wie ein Orchester ohne Noten: ein Durcheinander an Melodien mit schwankender Lautstärke. Eine Kakophonie, die das Publikum leiden lässt. Erst wenn wir Partituren einführen, entsteht eine Symphonie. Oder anders gesagt im Kontext der Daten: Wenn wir gemeinsame Formate, Terminologien und Governance einführen, entsteht Ordnung in Form von strukturierten Daten. Hier hilft uns die KI. Sie ist wie unser Dirigent: blitzschnell, aber nur dann grandios, wenn die Partitur stimmt.

Vom Daten-Chaos zur semantischen Ordnung

Dieses Bildnis soll zeigen, wie wichtig Ordnung im Kontext der Daten ist. Sonst nützt auch der beste Dirigent, sprich, die beste KI nichts. Im Schweizer Gesundheitswesen entstehen täglich unzählige Datenpunkte in unterschiedlichsten Formaten – etwa Laborresultate als PDF, Röntgenbilder im DICOM-Format, Medikationslisten als Freitext oder Abrechnungsdaten in proprietären Systemen. Ohne formale Semantik entsteht „entropische“ Unordnung: Informationen können nicht wiederverwendet werden, Fehler pflanzen sich fort und Haftungsrisiken steigen.

Programme wie das Swiss Personalized Health Network (SPHN) und HL7 Switzerland setzen auf interoperable Standards und Prinzipien. Dabei bilden drei Bausteine die Grundlage für wiederverwendbare Daten – und damit die Voraussetzung, dass KI-Anwendungen überhaupt sinnvoll integriert werden können: Strukturmodelle wie HL7 FHIR, klinische Terminologien wie SNOMED CT sowie Governance-Regeln wie die FAIR-Prinzipien (auffindbar, zugreifbar, interoperabel, wiederverwendbar). Erst ihr Zusammenspiel verhindert Wildwuchs und schafft eine belastbare Basis für KI-Anwendungen. Standards sind die Partitur, GenAI der Dirigent: ohne Noten bringt auch der beste Dirigent sein Orchester nicht in ein Zusammenspiel. 

«Wir sollten Chaos nicht mit Komplexität verwechseln: Gesundheitssysteme sind komplex, chaotisch werden sie erst, wenn Daten ungeordnet sind.»
Yanick Lukic
Yanick X. Lukic Dozent und Senior Researcher an der (ZHAW)

Standards beflügeln GenAI

Hohe Datenqualität und strukturierter Kontext verbessern die Ergebnisse generativer Systeme und können Halluzinationen der KI reduzieren – insbesondere, wenn FHIR-Ressourcen (standardisierte digitale Datenbausteine für Gesundheitsinformationen) als strukturierte Nachschlagebasis für die KI dienen. In Pilotstudien bewerten Ärztinnen und Ärzte die generierten Antworten häufig positiv in Genauigkeit und Verständlichkeit, gleichzeitig bleiben Grenzen je nach Aufgabe bestehen. Und erst durch domänenspezifische Terminologien wie ICD oder SNOMED können wir Output objektiver messen und gezielt verbessern. Saubere Labels, strukturierter Kontext und klare Codes bringen KI vom Spielzeug näher an den verlässlichen klinischen Einsatz.

GenAI stärkt Standards

Die KI hilft auch beim Aufräumen: Fein-getunte Modelle codieren Freitext automatisch in ICD- oder SNOMED-Codes und befüllen passende FHIR-Ressourcen, wodurch die manuelle Kodierlast sinken kann. KI-Verfahren können ausserdem unterschiedliche medizinische Begriffssysteme miteinander abgleichen und Verknüpfungen zwischen verschiedenen Datenstrukturen herstellen. Und mit generativen Modellen lassen sich künstliche Patientenakten mit ähnlichen statistischen Eigenschaften erstellen – nützlich für Forschung und Tests, bei weiterhin zu beachtenden Utility-/Privacy-Abwägungen.

Vom Plan zur Umsetzung mit HIN

Dieser Abschnitt wurde redaktionell in Zusammenarbeit mit HIN ergänzt.

Für diese Schritte braucht es vertrauenswürdige Infrastrukturen. HIN stellt seit den 1990er-Jahren (Gründung 1996) zentrale Dienste für das Schweizer Gesundheitswesen bereit – etwa die HIN Identität für den gesicherten Zugriff auf Anwendungen im HIN Vertrauensraum oder HIN Mail für den verschlüsselten Austausch sensibler Daten, auch mit Nicht-Mitgliedern.

Im Bereich GenAI hat HIN zusammen mit der Firma AlpineAI AG das Framework HIN AI entwickelt:  ein sicheres, datenschutzkonformes und praxisnahes Fundament für den Einsatz von KI, speziell zugeschnitten auf die Bedürfnisse von Gesundheitsfachpersonen in der Schweiz. Es entsteht ein neuer Standard für Large Language Modell (LLM) basierte Unterstützung im Gesundheitswesen, auf dem zukünftige KI-basierte Services sicher und interoperabel entwickelt werden können, z.B. durch Anbieter von Praxisinformationssystemen oder weitere Partner im HIN Vertrauensraum.

Wohin die Reise geht

Aktuelle Arbeiten kombinieren neuronale Netze mit medizinischem Wissen und verringern so Halluzinationen. FHIR-basierte Chatbots und (teil-)automatisierte Zuordnungspipelines für Datenformate zeigen heute bereits Potenzial, manuellen Aufwand zu reduzieren. Gleichzeitig zeigen aktuelle Befragungen einen Vertrauens-Gap: Je nach Studie liegt die Zustimmung/der Komfort von Patientinnen und Patienten zu KI nur bei ca. 48–59 %, während Fachpersonal deutlich optimistischer ist. Transparenz, Governance und Evidenz werden daher zentral – ebenso datenschutzkonforme Bereitstellungsmodelle (z. B. Speicherung in der Schweiz oder in einer abgesicherten Cloud-Umgebung).

Einladung

Die Technologie ist reif, die Roadmap liegt auf dem Tisch. Wenn Standards die Partitur liefern und GenAI der Dirigent ist, dann braucht es ein sicheres Konzerthaus – und dafür steht HIN seit Jahren im Schweizer Gesundheitswesen. Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, Daten-Kakophonien in Symphonien zu verwandeln.

Yanick Lukic

Yanick X. Lukic

Dr. Yanick X. Lukic ist Dozent und Senior Researcher an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW), wo er sich mit human-zentrierter Medizininformatik, intelligenten, interaktiven Gesundheitstechnologien und Datenstandards beschäftigt. Als Postdoc an der Universität St. Gallen erforschte er KI-gestützte Methoden zur Erkennung von Emotionen und Stress. Zudem ist er Gründer der Codeklang GmbH, die interaktive Anwendungen und angewandte KI entwickelt, und promovierte an der ETH Zürich über spielbasiertes Atemtraining und digitale Biomarker. Er setzt sich für eine evidenzbasierte Digitalisierung des Gesundheitswesens ein.

Gastautor / Auteur invité / Autori ospiti
Autor: Gastautor / Auteur invité / Autori ospiti

Stimmen und Porträts aus unserer HIN Community sind immer herzlich willkommen. Wir freuen uns über Beiträge unserer Kunden genauso wie über solche von Partnern. Gastautoren haben bei uns immer einen Platz und machen unseren Blog noch vielfältiger.

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